1) [aus dem ersten Posting] Wie sollte man es aber setzen, wenn in einem Lied Variante 1 (Takt 2) und Variante 4 (Takt 10) in unterschiedlichen Strophen vorkommen?
Takt 2 enthält ein Melisma (c-b über "Le-"), deshalb ist (traditionell wie modern) der Balken zu setzen. Bogen nach Belieben.
Takt 10 enthält kein Melisma (c und b haben jeweils ihre eigenen Silben "Ich" und "ver-"), da müssen traditionell Einzelfahnen stehen (modern ein Balken), aber in keinem Fall ein Bogen.
Du darfst Dich nicht verwirren lassen!

Bei der traditionellen "Einzelfahnen-Methode" reicht ein Balken alleine aus, um ein Melisma zu kennzeichnen. Zur Unterstützund/Verdeutlichung
kann man noch zusätzlich einen Bogen setzen.
Wenn kein Balken möglich ist, dann
muß der Bogen gesetzt werden.
Das ist in etwa zu vergleichen mit Triolenklammern: Bei Vierteltriolen (also ohne Balken) setzt man eine Triolenklammer, um die zusammengehörigen Noten zu kennzeichnen, bei Achteltriolen mit Balken ist eine Triolenklammer nicht nötig. Man kann sie aber trotzdem setzen, wenn man möchte.
In manchen Liedern werden zwei gleiche Noten durch einen gepunkteten Haltebogen verbunden, wenn zu der Stelle unterschiedlich viele Silben in den Strophen vorkommen (einmal eine, dann wieder zwei Silben). Kann man analog dazu den Bindebogen gepunktet darstellen (wie man das in lilypond macht, weiß ich)? Oder ist es besser, sich auf die erste Strophe zu beschränken?
Ja, genau, in solchen Fällen setzt man den Bogen (Slur) gepunktet/gestrichelt, genau wie beim Haltebogen.
Ich hatte aber auch schon einen Fall mit nur einer Strophe, wo der Liedtext in einer Wiederholung zweizeilig dargestellt wurde. Wie stellt man die Takte 1 u. 5 bzw. 1 u. 10 in diesem Fall dar? Nach der "neuen" Methode also jedenfalls mit Balken.
Stimmt, nach der neuen Methode mit Balken, den Bogen gepunktet/gestrichelt.
Traditionell, gute Frage, bin ich mir auch nicht ganz sicher - würde ich Einzelfahnen und gepunkteten Bogen setzen.
Bei völlig abweichenden Rhythmen/Melodien bleibt auch die Möglichkeit, die alternative Melodie in Stichnoten zu setzen.
Habe ich das richtig verstanden, dass zwischen "Bin - de" und "Ich ver" kein Unterschied in der Notationsweise besteht? D.h. ich muss nur auf die Silben und nicht auf die Worte achten?
Genau. Es kommt nur auf die Silben an.
2) Extender
Die mag ich auch gerne. Bezieht sich "Wenn sich eine Endsilbe über mehrere Töne erstreckt..." auch auf einsilbige Worte wie "die", "er", "in", "ich", etc.? Wenn "Ich" unter zwei Achtelnoten steht, bleibt ja nicht gerade viel Platz für den Extender übrig.
Ja. Man setzt auch bei kurzen Endsilben bzw. einsilbigen Wörtern einen Extender, wenn mehrere Noten zur Silbe "gehören". Das gilt sogar für Haltebögen.
Wenn die Extender zu kurz würden (wie auch die Silbentrennstriche), verschwinden sie.
Endsilben und einsilbige Wörter brauchen Extender, innerhalb von Wörtern hat man ja die Bindestriche.
3) "modern" und Zwangs-Einzelfähnchen
[...]
Zwangs-Einzelfähnchen klingt ja schon negativ. Ich hab mir jetzt mal als Grundregel gemerkt: wo möglich, Balken anstatt Fähnchen. Gilt das aber auch bei zwei auf einander folgende Noten mit demselben Tonwert? Also z.B. "g4 h8[ h] h4 a" anstatt "g4 h8 h h4 a".
Ja. Kein Unterschied, ob die aufeinanderfolgenden Töne gleich sind oder nicht.
Zwangs-Einzelfähnchen ist keinesfalls negativ gemeint - es kommt einfach auf den speziellen Anwendungsfall an. Die traditionelle Darstellung erleichtert das Zuordnen von Silben zu Noten, die moderne Darstellung erleichtert das Erkennen rhythmischer Zusammenhänge.
Viele Grüße
Torsten
Passend zum Karfreitag einen winzigen Ausschnitt aus Bachs Matthäuspassion, einmal traditionell und einmal "modern" zum Vergleich: