Autor Thema: Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten  (Gelesen 6881 mal)

tig

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Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten
« am: Freitag, 29. März 2013, 09:25 »
Liebe Spezialisten!

Die Zeit meiner musikalischen Ausbildung liegt leider schon etwas länger (25 Jahre) zurück. Darum bitte euch Experten um Hilfe. Ich erstelle v.a. einfache Liedertexte mit Lilypond und stolpere immer wieder über das Problem, dass in meinen Vorlagen Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen teilweise recht unterschiedlich eingesetzt werden. Beim Geigenspielen war so ein Bindebogen kein Problem: mit Bindebogen = durchstreichen, ohne Bindebogen = Anhalten, Absetzen oder Richtungswechsel des Bogens. Wie aber ist das beim Singen?

Erste Hinweise habe ich hier schon unter https://liarchiv.joonet.de/index.php?topic=550.0#msg2986 gefunden. Ganz verstehen tue ich es aber leider immer noch nicht. "Zwischenatmen" ist mir klar. Was aber ist "nonlegato singen"?

Ich stelle meine Fragen am besten anhand eines kleinen Beispiels:

\include "lilypond-book-preamble.ly"
\include "deutsch.ly"
\paper { indent = 0\mm }

Melodie = \relative c'' {
  a4 h4.( c8) d4
  c8([ h]) a4 g2
  r1
  a4 h4.( c8) d4
  c8[ h] a4 g2
  \break
  a4 h4.( c8) d4
  c8[ h] a4 g2
  r1
  a4 h4.( c8) d4
  c8 h a4 g2
}
Text = \lyricmode {
  Le -- ga -- to Le -- ga -- to
  Le -- ga -- to Le -- ga -- to
  Le -- ga -- to
  \set ignoreMelismata = ##t Bin -- de -- bo -- gen \unset ignoreMelismata
  Le -- ga -- to
  Ich ver -- steh's nicht!
}
\score{
  <<
  \new Voice = "VoiceOne" { \autoBeamOff \Melodie }
  \addlyrics { \Text }
  >>
  \layout {}
}

Unklar ist mir v.a. die Verbindung von C und H in den Takten 2, 5, 7 und 10.

Wann verwendet man eine Phrasierungsbogen? Mir "gefällt" die Variante 1 (Takt 2) am besten, ich finde aber oft Variante 2 (Takt 5). Gibt es dazu klare Regeln, oder hängt das vom Geschmack des Notensetzers ab?

In Takt 7 ist es nicht mehr nur eine Silbe ("Bin - de" anstatt "le (- e)"). Da würde ich dann keinen Bogen mehr setzen.

In Takt 10 sind es dann zwei Worte ("Ich ver..."). Darum würde ich die Noten auch trennen.

Wie sollte man es aber setzen, wenn in einem Lied Variante 1 (Takt 2) und Variante 4 (Takt 10) in unterschiedlichen Strophen vorkommen?

Ich möchte mich nicht durch dicke Wälzer über Musiktheorie wühlen. Wenn jemand von euch aber ein gutes Buch/Tutorial/Website zum Thema "Liedertexte setzen für Dummies" kennt, bin ich für jeden Hinweis dankbar.

fugenkomponist

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Re: Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten
« Antwort #1 am: Freitag, 29. März 2013, 10:29 »
Also, ich persönlich würde Varianten 1 und 3 verwenden. Ich hab das irgendwo (ich glaube, sogar hier im Forum) auch mal gelesen, dass Achtel und kleinere Noten nicht mehr mit einzelnen Fähnchen, sondern immer mit Balken gesetzt werden. Daraus ergibt sich dann auch, dass mehrere Noten pro Silbe immer einen Bogen bekommen.

Be-3

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Re: Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten
« Antwort #2 am: Freitag, 29. März 2013, 10:39 »
Hallo tig,

es geht bei Gesangstext eigentlich nicht um die Frage "legato" oder "nonlegato", sondern einfach um das Problem, die Silben eindeutig den entsprechenden Noten zuzuordnen.

Bis "vor kurzem" war es üblich (und ist es heute teilweise immer noch), ggf. jeder Sprechsilbe ein eigenes Fähnchen zu gönnen, d. h. in der Regel in Gesangsparts keine automatischen Balken zu verwenden. Deshalb findest Du auch in fast jedem (wenn nicht allen) Lilypond-Beispielen \autoBeamOff.

Schwieriger wird es dann, wenn eine einzige Silbe über mehrere Noten lang gesungen werden muß ("Melisma").
Beispiel: "Stil-le Nacht" (eigentlich drei Silben) wird unter dem Weihnachtsbaum in der Praxis oft zu "Sti-hi-le Nacht" (vier Silben), damit es zur Melodie paßt. ;)
Das Wort wird "im Volksmund" also so abgeändert, daß es paßt. In den Noten kann man so etwas natürlich nicht schreiben und muß zu anderen Mitteln greifen.

Nun gibt es mehrere Möglichkeiten, anzuzeigen, daß eine Silbe über mehrere Noten ausgedehnt weden soll:

  • Man setzt auf jeden Fall (!) einen Balken falls möglich
  • Wenn kein Balken möglich ist, dann setzt man einen Bogen
  • Man kann trotz Balken zusätzlich Bögen setzen

In Deinem Beispiel:

Takt 1: h und c über "ga" brauchen einen Bogen, damit man erkennt, daß die Silbe "ga" über beide Töne ausgedehnt werden muß.

Takt 2: c und h über "Le" sind zwei Achtelnoten und man schreibt sie mit Balken (wie bei Instrumentalstimmen) und nicht mit Einzelfähnchen. Zusätzlich zur Verdeutlichung gibt es einen Bogen (müßte aber nicht).

Takt 5: hier haben wir die selbe Situation wie in Takt 2, aber diesmal wurde der Bogen eingespart.

Takt 7: hier wäre nach der "alten" Einzelfahnen-Methode der Balken falsch, weil jede Silbe ihre Note hat (kein Melisma!). Nach der "neuen" Schreibweise wäre es korrekt (mit Balken, aber ohne Bogen).

Wenn man allerdings (ganz modern) auf die Zwangs-Einzelfähnchen verzichten will, trägt ein Balken keinerlei Silben-Informationen mehr und es muß ein Bogen gesetzt werden.

Übrigens (nur als Anmerkung): Wenn sich eine Endsilbe über mehrere Töne erstreckt, setzt man einen "Extender" dahinter: " __ ".

Viele Grüße
Torsten


Edit:
Also, ich persönlich würde Varianten 1 und 3 verwenden. Ich hab das irgendwo (ich glaube, sogar hier im Forum) auch mal gelesen, dass Achtel und kleinere Noten nicht mehr mit einzelnen Fähnchen, sondern immer mit Balken gesetzt werden. Daraus ergibt sich dann auch, dass mehrere Noten pro Silbe immer einen Bogen bekommen.
Ja, das ist die "moderne Variante".
Die vielen Einzelfähnchen führen dazu, daß der rhythmische Kontext nur schlecht erfaßt werden kann. Da das Spacing durch den unterlegten Text auch nicht gerade besser wird, ist es auch keine große Hilfe. Deshalb hält man es heute für übersichtlicher, "normal" zu verbalken und grundsätzlich Bögen zu setzen. Finde ich auch gut.
« Letzte Änderung: Freitag, 29. März 2013, 11:04 von Be-3 »

tig

  • Member
Re: Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten
« Antwort #3 am: Freitag, 29. März 2013, 13:48 »
Danke für die schnellen und ausführlichen Antworten.

\autoBeamOff habe ich mir auch sehr schnell angewöhnt (und im Bsp. ja auch verwendet). Grundsätzlich liege ich also mit meiner präferierten Variante (Balken plus Bogen) richtig - das freut mich! Zwei Punkte sind mir aber noch nicht ganz klar:

1) [aus dem ersten Posting] Wie sollte man es aber setzen, wenn in einem Lied Variante 1 (Takt 2) und Variante 4 (Takt 10) in unterschiedlichen Strophen vorkommen?

In manchen Liedern werden zwei gleiche Noten durch einen gepunkteten Haltebogen verbunden, wenn zu der Stelle unterschiedlich viele Silben in den Strophen vorkommen (einmal eine, dann wieder zwei Silben). Kann man analog dazu den Bindebogen gepunktet darstellen (wie man das in lilypond macht, weiß ich)? Oder ist es besser, sich auf die erste Strophe zu beschränken?

Ich hatte aber auch schon einen Fall mit nur einer Strophe, wo der Liedtext in einer Wiederholung zweizeilig dargestellt wurde. Wie stellt man die Takte 1 u. 5 bzw. 1 u. 10 in diesem Fall dar? Nach der "neuen" Methode also jedenfalls mit Balken.

Habe ich das richtig verstanden, dass zwischen "Bin - de" und "Ich ver" kein Unterschied in der Notationsweise besteht? D.h. ich muss nur auf die Silben und nicht auf die Worte achten?


2) Extender

Die mag ich auch gerne. Bezieht sich "Wenn sich eine Endsilbe über mehrere Töne erstreckt..." auch auf einsilbige Worte wie "die", "er", "in", "ich", etc.? Wenn "Ich" unter zwei Achtelnoten steht, bleibt ja nicht gerade viel Platz für den Extender übrig.


3) "modern" und Zwangs-Einzelfähnchen

Je öfter ich die Antworten durchlese, desto mehr Fragen poppen auf! Ich habe mich für lilypond entschieden, weil mir der generierte Output mit Abstand am besten gefiel. Mein Hang zur Typophilie soll aber nicht den mir leider weitgehend unbekannten Notationsregeln widersprechen.

Zwangs-Einzelfähnchen klingt ja schon negativ. Ich hab mir jetzt mal als Grundregel gemerkt: wo möglich, Balken anstatt Fähnchen. Gilt das aber auch bei zwei auf einander folgende Noten mit demselben Tonwert? Also z.B. "g4 h8[ h] h4 a" anstatt "g4 h8 h h4 a".


Danke für die tolle Unterstützung! Dieses Forum trägt maßgeblich zum "einfachen" Umgang mit lilypond bei. Durch euch (und die gute Dokumentation) bin ich immer wieder froh, mich für lilypond entschieden zu haben.

Be-3

  • Member
Re: Einsatz von Bindebogen bzw. Phrasierungsbogen in Liedtexten
« Antwort #4 am: Freitag, 29. März 2013, 19:35 »
1) [aus dem ersten Posting] Wie sollte man es aber setzen, wenn in einem Lied Variante 1 (Takt 2) und Variante 4 (Takt 10) in unterschiedlichen Strophen vorkommen?
Takt 2 enthält ein Melisma (c-b über "Le-"), deshalb ist (traditionell wie modern) der Balken zu setzen. Bogen nach Belieben.
Takt 10 enthält kein Melisma (c und b haben jeweils ihre eigenen Silben "Ich" und "ver-"), da müssen traditionell Einzelfahnen stehen (modern ein Balken), aber in keinem Fall ein Bogen.

Du darfst Dich nicht verwirren lassen! ;)
Bei der traditionellen "Einzelfahnen-Methode" reicht ein Balken alleine aus, um ein Melisma zu kennzeichnen. Zur Unterstützund/Verdeutlichung kann man noch zusätzlich einen Bogen setzen.
Wenn kein Balken möglich ist, dann muß der Bogen gesetzt werden.
Das ist in etwa zu vergleichen mit Triolenklammern: Bei Vierteltriolen (also ohne Balken) setzt man eine Triolenklammer, um die zusammengehörigen Noten zu kennzeichnen, bei Achteltriolen mit Balken ist eine Triolenklammer nicht nötig. Man kann sie aber trotzdem setzen, wenn man möchte.

In manchen Liedern werden zwei gleiche Noten durch einen gepunkteten Haltebogen verbunden, wenn zu der Stelle unterschiedlich viele Silben in den Strophen vorkommen (einmal eine, dann wieder zwei Silben). Kann man analog dazu den Bindebogen gepunktet darstellen (wie man das in lilypond macht, weiß ich)? Oder ist es besser, sich auf die erste Strophe zu beschränken?
Ja, genau, in solchen Fällen setzt man den Bogen (Slur) gepunktet/gestrichelt, genau wie beim Haltebogen.

Ich hatte aber auch schon einen Fall mit nur einer Strophe, wo der Liedtext in einer Wiederholung zweizeilig dargestellt wurde. Wie stellt man die Takte 1 u. 5 bzw. 1 u. 10 in diesem Fall dar? Nach der "neuen" Methode also jedenfalls mit Balken.
Stimmt, nach der neuen Methode mit Balken, den Bogen gepunktet/gestrichelt.
Traditionell, gute Frage, bin ich mir auch nicht ganz sicher - würde ich Einzelfahnen und gepunkteten Bogen setzen.
Bei völlig abweichenden Rhythmen/Melodien bleibt auch die Möglichkeit, die alternative Melodie in Stichnoten zu setzen.


Habe ich das richtig verstanden, dass zwischen "Bin - de" und "Ich ver" kein Unterschied in der Notationsweise besteht? D.h. ich muss nur auf die Silben und nicht auf die Worte achten?
Genau. Es kommt nur auf die Silben an.

2) Extender

Die mag ich auch gerne. Bezieht sich "Wenn sich eine Endsilbe über mehrere Töne erstreckt..." auch auf einsilbige Worte wie "die", "er", "in", "ich", etc.? Wenn "Ich" unter zwei Achtelnoten steht, bleibt ja nicht gerade viel Platz für den Extender übrig.
Ja. Man setzt auch bei kurzen Endsilben bzw. einsilbigen Wörtern einen Extender, wenn mehrere Noten zur Silbe "gehören". Das gilt sogar für Haltebögen.
Wenn die Extender zu kurz würden (wie auch die Silbentrennstriche), verschwinden sie.
Endsilben und einsilbige Wörter brauchen Extender, innerhalb von Wörtern hat man ja die Bindestriche.

3) "modern" und Zwangs-Einzelfähnchen
[...]
Zwangs-Einzelfähnchen klingt ja schon negativ. Ich hab mir jetzt mal als Grundregel gemerkt: wo möglich, Balken anstatt Fähnchen. Gilt das aber auch bei zwei auf einander folgende Noten mit demselben Tonwert? Also z.B. "g4 h8[ h] h4 a" anstatt "g4 h8 h h4 a".
Ja. Kein Unterschied, ob die aufeinanderfolgenden Töne gleich sind oder nicht.

Zwangs-Einzelfähnchen ist keinesfalls negativ gemeint - es kommt einfach auf den speziellen Anwendungsfall an. Die traditionelle Darstellung erleichtert das Zuordnen von Silben zu Noten, die moderne Darstellung erleichtert das Erkennen rhythmischer Zusammenhänge.

Viele Grüße
Torsten

Passend zum Karfreitag einen winzigen Ausschnitt aus Bachs Matthäuspassion, einmal traditionell und einmal "modern" zum Vergleich: