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cis oder des notieren, bzw. warum ...
RobUr:
--- Zitat ---Macht es Capella richtig, wenn es bei der Noteneingabe über das "Mausklavier" grundsätzlich nur "cis" notiert?
--- Ende Zitat ---
Nein. Capella ist nicht in der Lage, das beurteilen zu können.
--- Zitat ---im Takt 15 (erstes Bsp.) passt das cis eigentlich nicht zur Harmonie g-Moll, hier wird das cis als Teil der harmonischen d-Moll-Tonleiter verwendet.
--- Ende Zitat ---
Es passt sogar wunderbar, weil es sich um einen verkürzten (Klammer-)Dominantseptnonakkord mit Quartvorhalt handelt, in diesem Fall also A-Dur (nicht g-Moll) mit k7 (g) und k9 (b) ohne Grundton (a) über Orgelpunkt (d), wobei das "d" in der 4. und 5. Stimme der Quartvorhalt ist. Der Dominantseptnonakkord löst sich dann folgerichtig nach d-Moll (Tonikaparallele) auf. Man darf das cis ruhig als Leitton betrachten, wenn die Melodiestimme zum d weitergeführt würde (stattdessen geht es in die Mollterz, aber das ist auch kein Trugschluss, sondern harmonieeigen).
--- Zitat ---Das schöne an der Harmonielehre ist nämlich, dass es oft mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt
--- Ende Zitat ---
Siehste :)
Etwas anspruchsvoller ist die zweite Stelle: In T.19 befinden wir uns zunächst noch ganz normal in F-Dur (Tonika), bleiben über dem Orgelpunkt F über B-Dur mit großer Sexte (Subdominante, sixte ajoutée) und C-Dur-Septakkord plus großer Sekunde (Dominante) in F-Dur (T.20,1). Dann wird mit dem g unüberhörbar die Quinte für C-Dur (T.20,4) eingeführt (Terzbass), was uns wiederum nach F-Dur (sic!) leitet (T.21,1), und zwar überraschenderweise in Form eines verkürzten Septakkords (Grundton f fehlt mal wieder -> Stilmittel des Komponisten, stattdessen Septime es im Bass) mit Sekundvorhalt (g in der Oberstimme). Dieser verkürzte F7 wird für den weiteren Verlauf zur neuen Subdominante C7 umgedeutet – und siehe: mit T.21,2 haben wir den D-Dur-Septnonakkord als Zwischendominante (zwar fehlt das c, dafür haben wir den Dezimvorhalt f in die kleine None es), und landen dadurch in g-Moll, der neuen Tonika (oder auch Subdominantparallele, wenn wir in F-Dur bleiben wollten). Jetzt kommt der spannende Takt 22, in dem es ja um das des/cis geht: der Akkord auf T.22,1 ist immer noch g-Moll mit Terzbass. Den darauffolgende Akkord (T.22,2) kann man als d-Moll mit großer Sexte im Bass betrachten (das passt noch gut in die g-Moll Kadenz), wobei das h irritiert und einen Durchgang vortäuscht, der nach C-Dur aufgelöst würde. (Einschub: in diesem Fall wäre es nicht d-Moll, sondern ein G7 mit großer Dezime None.) Aber was passiert auf einmal? Der Komponist entscheidet sich doch lieber für b-Moll (T.22,3), angereichert mit Sekundvorhalt c in der Melodiestimme und großer Septime a als Leitton! Ich muss widersprechen, dass es sich hierbei um einen lapidaren Quartsextvorhalt nach F-Dur handelt, da dies funktional auf der Stelle tritt. Einerseits ist die "3" schwerer als die "4" (deswegen immer Hauptzeiten in Verbindung mit Nebenzeiten und was das Gehör wahrnimmt betrachten), andererseits sind wir fein raus und kommen über b-Moll als Subdominantvariation prima zurück nach F-Dur in T.23. In T.24 bekommen wir’s noch klipp und klar mit einem ausgedehnten C-Dur Septakkord – gewürzt mit klassischem Quartvorhalt – um die Ohren gehauen, dass man nach F-Dur zurückgefunden hat ;)
Ach so: wegen b-Moll in T.22,3–4 darf es kein cis, sondern muss zwingend des sein; deswegen gibt’s ja den Thread.
--- Zitat ---Blechbläser könnten natürlich ein "cis" oder ein "des" höher oder tiefer blasen - dürfte aber eher Theorie bleiben.
--- Ende Zitat ---
Und Choristen/Sänger/Holzbläser/Streicher könnten es auch nur theoretisch? Man musiziert doch mit den Ohren …
--- Zitat ---Noten sind "Spielanweisungen" - nur ein Teil der Instrumente wären in der Lage in einem Stück alternativ "cis" oder "des" zu spielen, da sie nur in einer Stimmung gestimmt sein können. Unterschiedliche Notierungen wären für diese Instrumente Unsinn, da die Spieler nicht differenzieren können.
--- Ende Zitat ---
Nein, gar kein Unsinn. Wozu haben wir dann Tonarten? Es macht eben einen Riesenunterschied, ob ein Kreuz oder ein B vor der Note steht. Gerade für Instrumente, die mehr als ein, zwei Töne gleichzeitig spielen können, ist es essentiell von Bedeutung, die Harmonie auf einen Blick erfassen zu können. Zum Beispiel liest ein(e) Pianist(in) oder Gitarrist(in) oder Harfenist(in) nicht linear b-d-f-d-b-d-f-d-b-d-f-d, sondern erkennt B-Dur und in welcher Lage oder welcher Stellung – egal, ob arpeggiert oder nicht. Insbesondere Harfen müssen ganz schnell erkennen, um welche Akkorde es sich handelt, um die Pedale entsprechend treten zu können. Bei den anderen zuckt’s in der Hand, und die passende Fingerstellung wird abgerufen. Nimm z.B. ein fettes Rachmaninow-Prelude: wenn dort mit den Vorzeichen rumgewurschtelt würde, wäre kein Akkord mehr erfassbar, und kein Finger wüsste, wo er eigentlich hin soll.
So – genug Funktionsanalyse für heute. Grüße, Robert
Matti:
Guten Morgen!
Mag mich Roberts Analyse in Prinzip anschließen.
Wenn ich den Halbverminderten in T.22,2 im Zusammenhang höre, bin ich zwar eher geneigt, ihn erstmal als einen verkürzten G7 mit großer 9 [[nicht Dezime]] aufzufassen, und würd' ich auf Zählzeit 3 unter das besagte „des“ wohl erst nochmal G79 vermerken wollen (mit verminderter 5 im Baß, Quart statt Terz), weil ich persönlich den nachwirkenden G-Dur-Eindruck als stärker empfinde als ein (immerhin erstmal nur verkürzt kommendes b-moll...) aber das ändert nix am Ton „des“. Also würd' ich auch erstmal vorsichtig sagen: nicht „cis“, sondern „des“.
Finde es allerdings immer spannend, wie man solche Stellen von vorn oder von hinten betrachten kann, besonders, wenn der Komponist mit Erwartungen spielt.
Und von daher betrachtet: Wenn der Autor ein „cis“ statt „des“ selbst notiert hätte, wär das kein Fehler seinerseits gewesen. Dann hätte er sich kurz vorm Taktstrich vielleicht A-Dur vorgestellt (auf der Terz mit 6 statt 5 und wiederum mit einer hübschen wie hartnäckigen kleinen Dezime über der kleinen None), und dann könnte d-moll folgen. Stattdessen geht der Baß einen chromatischen Schritt von „cis“ zu „c“ abwärts, d.h. als Überraschung folgt F-Dur.
Insofern halte ich diese Stelle für kein Paradebeispiel für eindeutige Schreibfragen. Angenommen, der Satz kam so, wie er im PDF steht, aus irgendeinem Programm, das willkürlich Umdeutungen vornimmt, dann würd ich nicht meine Hand für ein des ins Feuer legen wollen.
Aber mal was anderes: Ich hab viel mit Chorsägern zu tun, aber wenig mit Instrumentalisten. Vielleicht naive Frage: Blechbläser VI kriegen in Takt 31 ein Auflösungszeichen. Würd ich meinen Sängern auch geben. In Takt 8 bekommt Blechbläser II keins (vorm „c“), und in Takt 29 bekommt Blechbläser III keins vorm „e“. Gibt's da eine geheime Systematik?
Schönen Sonntag!
Andreas
stargazer:
@Matthias,
@Malte,
@Robert,
@Andreas,
Danke für eure Erklärungen - das grobe Prinzip habe ich nun verstanden.
Ich sehe aber, dass ich als Autodidakt noch große Wissenslücken zur Harmonielehre habe :-[
Ich werde zu diesem Thema noch in Wikipedia abtauchen müssen.
@Andreas,
In Blechbläsernotensätzen werden gerne "unnötige" Auflösungszeichen gesetzt.
Wie unnütz sie sind, entscheidet der Notensetzer nach persönlichem Geschmack.
Takt 31 hat der Notensetzer offensichtlich als "gefährlich" eingestuft, da der neue Ton auf der selben Notenlinie liegt.
An einer anderen Stelle im gleichen Notenheft wurden bei gleicher Situation keine Auflösungszeichen notiert.
Bei deiner Anmerkung zu Takt 8 (Bläser II) komme ich nicht ganz mit. Oder meinst du das nicht vorhandene Auflösungszeichen beim "c" in Takt 9?
Dass Bläser III in Takt 29 kein Auflösungszeichen bekommt, ist gegenüber dem Beispiel in Takt 31 wirklich inkonsequent.
Ich persönlich finde diese "unnötigen" Auflösungszeichen gleichzeitig "unnütz".
Es gibt Beispiele, wo diese "unnötigen" Auflösungszeichen bzgl. ihrer schnellen Erkennbarkeit schlichtweg kontraproduktiv sind (siehe angehängte Beispiele).
Viele Grüße
Dieter
trulli:
Gudn Morgn,
so früh schon Theorie? ;D
@Matti
Du hast Recht, da sind Unregelmäßigkeiten bei den Vorzeichen. Aber nach meiner Meinung nur an einer Stelle. T8 ist korrekt, weil der letzte Ton von Stimme 2 ein cis ist. Im polyphonen Satz gelten Versetzungszeichen nur für eine Stimme und für einen Takt, das cis wurde im selben Takt vorher in beiden Stimmen geschrieben. In T31 St6 braucht eigentlich kein Auflösungszeichen stehen, so wie in T28 St3. Das ist nicht einheitlich. Eine Einklammerung war hier vielleicht vorgesehen und wurde vergessen. Die Stelle mit dem chromatischen Lauf im Bass ab T30 finde ich übrigens Klasse. :)
@Rob, T15
--- Zitat ---Es passt sogar wunderbar, weil es sich um einen verkürzten (Klammer-)Dominantseptnonakkord mit Quartvorhalt handelt, in diesem Fall also A-Dur (nicht g-Moll) mit k7 (g) und k9 (b) ohne Grundton (a) über Orgelpunkt (d), wobei das "d" in der 4. und 5. Stimme der Quartvorhalt ist. Der Dominantseptnonakkord löst sich dann folgerichtig nach d-Moll (Tonikaparallele) auf. Man darf das cis ruhig als Leitton betrachten, wenn die Melodiestimme zum d weitergeführt würde
--- Ende Zitat ---
Nein Rob, das ist kein A79. Das cis, welches diesen Akkord eindeutig bestimmen würde, kommt doch erst auf dem 2 (unbetonten) Schlag. Spiele die Stelle doch mal mit A-Dur, das geht zwar harmonisch, ist aber nicht die Funktion, die man im Originalsatz hört. Auf der 1 kommen ALLE Töne des G-Moll, also kann es nur G-Moll sein.
T22 (unser Lieblingstakt...)
Ja, das ist kein Quart-Sext-Vorhalt, da hast du Recht. Wenn man es spielt, hört man es. Auch klingt die leere Oktave bei T23,1 seltsam und bringt keine Auflösung. Ein Quart-Sext ist auch schon deshalb falsch, weil der Ton c (also die Quinte) durch die 6 ersetzt werden müsste, aber der Ton c ist auch enthalten.
Im Zusammenhang höre ich in T22: Gm Dm6 F6 Firgendwas ;D
Mein Vorschlag:
T22: Sp Tp6 T6 T611
T23: T
T24: D74-3
T25: T
Wie kommst du in T22,3 auf einen B-Moll? Alle Töne von F sind doch enthalten und das auf einer schweren Zählzeit.
--- Zitat ---Das schöne an der Harmonielehre ist nämlich, dass es oft mehrere Deutungsmöglichkeiten gibt ;D ;D ;D ;D
--- Ende Zitat ---
Grüße von Matthias
Matti:
--- Zitat ---Bei deiner Anmerkung zu Takt 8 (Bläser II) komme ich nicht ganz mit. Oder meinst du das nicht vorhandene Auflösungszeichen beim "c" in Takt 9?
--- Ende Zitat ---
@Dieter: Ähm... ja, das meinte ich. 8)
@Matthias: Baßtöne sind wichtiger als Oberstimmen. Zumindest bei der gängigen Funktionstheorie. Klar, da stehen f, a und c. Und der Baß schießt quer. Ist das "F-Dur mit kl. 6 im Baß"? Oder "F-Dur über einem zufälligen Orgelpunkt?" Der Jazzer schreibt vielleicht F/Db oder F/C#. In der klassischen Harmonielehre versucht man eher den Bezug zum Baßton zu suchen. Also: Ja, f, a und c sind zwar drin, aber über einem des (oder cis :-*). Nehmen wir mal des im Baß an, dann steht das a im übermäßigen Intervall zum Baß. Nehmen wir cis an, dann stehen f und c im verminderten Intervall über'm Baß. Das Ding ist, gleich wie man es enharmonisch hinschreibt, ein spannungsreicher Klang. Daß die Oberstimmen alle Töne bringen, die man für einen F-Dur-Dreiklang braucht, macht das f nicht automatisch zum Grundton. Oft geht das zwar, zum Beispiel bei einem F7, der auf der 7 im Baß steht, aber z.B. bei F-Dur-Dreiklang über Baßton b müßte man den Zusammenhang anschauen. Könnte ein B maj add 9 sein. F-Dur klingt dann wohlig in den Oberstimmen mit, wäre im klassischen Sinn aber nicht funktionsgebend. Oder Takt 36 im Beispiellied: Der Baß ist klassisch mit 4 und 6 zu beziffern, aber die Funktion des Klanges ist nicht Tonika sondern Dominante mit Vorhalten, also C46, gleichwohl ein F-Dur-Dreiklang mitklingt.
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