Der (manuelle) Notenstich stirbt aus. Er ist zwar am schönsten und lebendigsten, aber die Verlagsplatzhirsche beschäftigen lieber Softwareentwickler als "Handwerker". Im Gegenzug werden wieder häufiger Lektoren gesucht, die sich mit Notensatzprogrammen auskennen. (Hier spiegelt sich der Trend schon wörtlich wider: Stich vs. Satz.)
Die Videos auf der Henle-Website sind sehr informativ und zeigen, dass die Verlage (resp. Henle) individuell entwickelte bzw. angepasste Softwarelösungen einsetzen. Welche genau kannst du in der Wikipedia nachlesen:
Wikipedia:Notensatzprogramm.
Ein Programm hebt sich dabei besonders ab:
Wikipedia:Score. Es ist offenbar so schlank, dass es lediglich MS-DOS als Betriebssystem benötigt. (Andererseits genügt Lilypond ja auch ein kleineres Linux.) Scores unschlagbarer Vorteil ist einfach die absolute Kontrolle des Outputs durch den Nutzer: keine eigenmächtige Formatierung, kein Rumzicken beim Anpassen, voller Zugriff auf alle Layoutobjekte. Man braucht also keine Überredungskünste wie manchmal bei Lily

Das bedeutet natürlich auch, dass der Score-Anwender genau wissen muss, was er tut und wie es aussehen soll! Ich habe das Programm noch nicht im Einsatz gesehen, aber das initiale, unformatierte Layout dürfte zunächst nach einem billigen Sequenzernotensatz aussehen. Der Setzer fängt also wie ein Stecher auf einer blitzeblank leeren Oberfläche an. Selbstredend ist Score durch Makropakete erweiterbar, die jeder Verlag inhouse entwickelt oder extern entwickeln lässt. Score ist wie auch Lily postscript-basiert, was verlustfrei skalierbares Output ermöglicht – ein Muss in der Branche.
Der Shootingstar unter den kommerziellen Softwarelösungen ist wohl
Sibelius, dessen Notenbild gar nicht mal schlecht aussieht. Wenn man die Standardeinstellungen für sich anpasst, produziert Sibelius ganz ansehnliche Partituren. Wie ich gerade auf der Website lesen musste, ist Sibelius von Avid geschluckt worden – ein weiterer Vorstoß in der Profiliga.
Bestehende Druckvorlagen/-platten werden step-by-step digitalisiert: offenbar nur gescannt und als Bitmap-Grafik archiviert. Der Aufwand, die Vorlagen zu vektorisieren, dürfte ein sehr hoher, teurer sein. Der Unterschied sticht bei Nachauflagen sofort in’s Auge: Titel, Kopf- und Fußzeilen sowie Textseiten (Herausgeberanmerkungen, kritischer Bericht usw.) sind "gestochen" scharf, während der Notenblock etwas ausgefranst, manchmal sogar ziemlich pixelig aussieht. Außerdem kann man es erfühlen, ob die Note im Offsetdruck oder auf einem Laserdrucker hergestellt worden ist.
Wie man von kilgore liest, akzeptieren Verlage auch extern gesetzte Noten. (Ich hatte in einem anderen Thread gelesen, dass dann nur der Notenblock geliefert wird und der Verlag alles andere ringsum selbst gestaltet.) Lily selbst wird wohl nicht so schnell flächendeckend eingesetzt werden, allerdings kann ich mir eine Verwendung der Lilypond-Engine in anderen Produkten gut vorstellen. Ich hatte irgendwo mal gelesen, dass Adobe die TeX-Engine in eines seiner Produkte implementiert haben soll (vielleicht finde ich noch einen Beleg dafür).